"Kulturzeit extra": Einzelkämpfer*innen
Was sind „Identitätspolitik“ und „Cancel“ Kultur? Im ersten Teil der Sendung wird Sami Deluxe vorgestellt, der laut 3Sat „gecancelt“ wurde. Sein Song „Dis wo ich herkomm“ führte zu Kontroversen. Er äußerte Bedürfnis nach Nationalstolz, was in AntiFa-Gemeinden für Gegenwind sorgte. Letztendlich möchte er sich dem Black Lives Matter Kampf widmen und aus dem persönlichen Erfahrungshorizont als Afrodeutscher sprechen. Sollte jede*r für sich sprechen? Sollte das Persönliche im Zentrum stehen?
Identitätspolitik ist nichts Neues. Die Combahee River Collective erklärte 1977: “Wir glauben, dass die tiefgreifendste und potenziell radikalste Politik direkt aus unserer eigenen Identität kommt“.
Vivian Perkovic diskutiert darüber mit Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Peggy Piesche und Literaturkritiker Ijoma Mangold. Piesche spricht sich aus für eine Erweiterung der Stimmen. Die individuellen Geschichten der Gesellschaft müssen in kollektive Erinnerung und Identität eingeschlossen werden, um so viele Erfahrungen wie möglich zu spiegeln. So ist die globale Black Lives Matter Bewegung verbindend und schafft wichtige Einschlüsse. Mangold widerspricht. Für ihn gibt es kaum Nachholbedarf, denn plurale Erfahrungen werden bereits in die Gesellschaft einbezogen. Geschlecht, Hautfarbe, Diskriminierungserfahrungen, Sexualität oder Religion sind für ihn keine auschlaggebende Identitätsmerkmale – die eigene Erfahrung oder das individuelle Ich sollten nicht durch kollektive Identitäten geprägt werden. Was Mangold für eine „Vereinheitlichung und auch eine Verlangweiligung des Individuums“ und Opferdarstellungen hält, ist für Piesche das Gegenteil. Für sie können viele Menschen erst durch kollektive Sichtbarmachung von Identitäten sprechen und Teil der Gesellschaft werden. Sprache spielt eine wichtige Rolle. Piesche besteht auf wichtige Selbstbezeichnungen: sie sieht sich als Schwarze, queere Aktivistin und Akademikerin, die aus einer ostdeutschen Arbeiter*innenfamilie kommt – diese Identität prägt und verbindet sie mit Menschen vor und nach ihr. Die Gesellschaft war nie homogen – häufig ist es erst durch kollektive Identitäten möglich, Leerstellen zu füllen, Bezüge zur Welt zu finden und Möglichkeiten der Mitbestimmung und Veränderung zu finden – auch in Verteilungskämpfen.
Das Schaffen einer unmaskierten Norm des Weißseins, das aus dem Universalismus der Aufklärung entspringt, ist die erste Form der Identitätspolitik. Emanzipatorische Identitätspolitik muss nicht spalten – Mehrfachzugehörigkeiten sichtbar und besprechbar zu machen, kann befreien.
Die Diskussion zeigt Argumente rund um die Diskussionen zu "Cancel" Kultur und Identitätspolitik, welche als Anstoß dienen können, die Themen zu besprechen.